"Zuversichtlich in die Zukunft gucken": Olaf Scholz gibt sich in Erfurt beste Noten

Alexander Kissler, Erfurt

Aktualisiert 10.08.2023, 23.38 Uhr

Beim mittlerweile neunten "Kanzlergespräch" stösst der Sozialdemokrat in Thüringen nicht nur auf Zustimmung. Scholz aber pariert alle Kritik selbstgewiss und zeigt sich einmal mehr als ein Meister des Eigenlobs.

Auf der Bühne des "Egaparks" stellte sich der Kanzler den Fragen der Bürger.
Karina Hessland / Reuters

Thüringen ist kein leichtes Pflaster für einen Bundeskanzler aus dem Westen, zumal wenn er wie Olaf Scholz der SPD angehört. Die Sozialdemokraten sind zwar Teil der von dem Linken-Politiker Bodo Ramelow geführten Landesregierung, erreichen aber in Umfragen momentan lediglich rund zehn Prozent. Fast uneinholbar in Führung liegt die rechte AfD.

Insofern dürfte Olaf Scholz mit dem "Kanzlergespräch" an diesem Donnerstag in Erfurt auf der Bühne des "Egaparks" zufrieden gewesen sein. Er konnte tun, was er gerne tut: Lektionen erteilen und Zensuren vergeben, für sich nur die besten. Doch einmal platzte der Kokon der Unerschütterlichkeit, mit dem Scholz sich gegen Kritik wappnet. Der Kanzler spürte die Erschütterungen der Republik am eigenen Leib, als eine Bürgermeisterin aus dem Weimarer Land ihn herausforderte.

Olaf Scholz liebt Hamburger Anekdoten

Wann immer es argumentativ eng werden könnte für den Regierungschef einer im Land mittlerweile unbeliebten "Ampel", weicht Scholz ins Anekdotische oder Grundsätzliche aus. Kaum zu zählen sind die Geschichten aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister, die der Kanzler ins nostalgische Licht rückt.

Er, Scholz, habe damals den sozialen Wohnungsbau zu einem Erfolg geführt. Er, Scholz, habe damals in der Bildungspolitik einen eigenen Weg eingeschlagen, "und das hat auch dazu geführt, dass dort jetzt die Bildungsergebnisse immer besser werden wegen der Entscheidungen, die wir seinerzeit getroffen haben". Im Eigenlob macht niemand Scholz etwas vor. Über den schleppenden Wohnungsbau und die Bildungskatastrophe heute ist damit freilich nur gesagt, dass Scholz sich ihrer annehmen will.

Wenn eine Frau im Rentenalter klagt, sie müsse weiterhin eine kleine Gaststätte führen und ihr Mann Taxi fahren, um über die Runden zu kommen, sagt Scholz mit hanseatischem Unterton, das sei eine Sache, "die mich sehr besorcht", also besorgt. Es gebe aber in der Krankenversicherung eine "Regelung für Leute, die ganz wenig haben". Sie solle das alles noch einmal "für sich erörtern", eingedenk der Warnung, "es wird aber nicht schön". Er wolle da keine Illusionen erzählen. Später ergänzte er, ein höheres Renteneintrittsalter lehne er ab.

Billiger Trost ist vom Kanzler nicht zu haben, aber jederzeit ein Ausflug ins Grundsätzliche mit zuverlässig optimistischer Perspektive. Exemplarisch für den Scholz'schen Rede- und Denkstil, der ansatzlos überwechselt vom Mikromanagement des Missvergnügens zur utopischen Globalerzählung, war seine Reaktion auf die Vorhaltungen einer Bürgermeisterin aus dem Landkreis Weimarer Land.

Eine Bürgermeisterin ist ratlos

Franziska Hildebrandt berichtete, was etwa auch der Bürgermeister der sachsen-anhaltischen Gemeinde Burg in jenem vor drei Wochen abgesandten Brief zu beschreiben wusste, den der Kanzler bisher nicht beantwortete. In Burg, war da zu lesen, werde die Politik "schlichtweg nicht mehr akzeptiert", zu negativ machten sich die Folgen der Migrationspolitik in den Strassen und auf den Plätzen bemerkbar.

Die Verbindung zur weitgehend ungeregelten Zuwanderung stellte die Bürgermeisterin der Gemeinde Klettbach nicht explizit her, doch ihr Credo war dasselbe wie beim Amtskollegen im benachbarten Bundesland: "Die Menschen fühlen sich nicht mehr mitgenommen. Sie verlieren immer mehr das Vertrauen in die Politik." Damit, sollte man meinen, war das Selbstverständnis des Kanzlers im Kern herausgefordert. Wer, wenn nicht er, muss mitsamt seiner Richtlinienkompetenz aufs Höchste alarmiert sein, wenn die Bürger das Vertrauen aufkündigen?

Scholz antwortete auf bewährte Weise und wirkte doch seltsam fahrig. In "Zeiten grosser Umbrüche" machten die Menschen sich Sorgen und hätten Angst. Das nehme er ernst, das verurteile er nicht. Dagegen setzte Scholz aber eine Erzählung, wie sie grundsätzlicher, globaler und damit weiter entfernt vom Weimarer Land gar nicht sein könnte.

Auf Windkraftanlagen setzen

Er verwies auf Elektroautos, die überall auf der Welt gebaut würden, und die auch in Deutschland zum Erfolgsmodell werden könnten. Er prophezeite eine Weltbevölkerung von zehn Milliarden Menschen, die bis zur Mitte dieses Jahrhunderts auf der Erde leben werden und von denen wiederum Milliarden zu Wohlstand aufsteigen würden. Er erläuterte seinen Glauben an den inneren Zusammenhang von Wohlstand, Wachstum und Klimaschutz. Er erzählte von seinen Hoffnungen auf Wasserelektrolyse, Windkraftanlagen und Solarpaneelen aus heimischer Produktion und gelangte zum Fazit: "Unsere Chancen sind schon ganz schön gut." Deutschland müsse weiter auf seine Ingenieure, Wissenschafter, Unternehmer und Arbeitnehmer setzen.

Bürgermeisterin Hildebrandt war davon nicht überzeugt, der Applaus blieb ein Rinnsal. Die Frage nach den sozialen wie ökonomischen Folgekosten der Migration hatte der Kanzler mit seiner Antwort umschifft. Doch ob er mit dieser Verschiebung der Problemlage ins weitgespannte Horizontale Hoffnung gesät hatte in Thüringen?

Olaf Scholz wollte in Erfurt der Therapeut eines Landes sein, dessen Unwohlsein er teils als Phantomschmerzen, teils als Bagatellerkrankung diagnostizierte. Letztlich, so Scholz, sei es wichtig, "in einer Zeit, in der viele Dinge Viele unsicher werden lassen, einen Kurs zu verfolgen, der uns Sicherheit geben kann und bei dem wir zuversichtlich in die Zukunft gucken können." Auf ihrem Nachhauseweg durch den leeren Park schauten die Bürger sehr schweigsam in den Himmel über Erfurt.


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